Der vorliegende Text ist publiziert in Hans Rudolf Straub: "Das interpretierende System", Z/I/M-Verlag, 2001, ISBN 3-9521232-6-9



11.1    Selbstreferenzialität, semiotisches Dreieck und interpretierende Systeme

Wenn wir über unser Denken nachdenken, geraten wir unweigerlich in eine Schlaufe. Das Subjekt   wird zum Objekt . Das, was unser Gedanke beschreiben und verstehen soll, ist er selbst. Das, worauf wir unser Denken richten, ist der Verlauf unseres Denkens selbst – die Schlange beisst sich in den Schwanz. Nach meiner Erfahrung ist dies ein Moment mit zwei sehr unterschiedlichen Gefühlen. Zum einen entsteht Verwirrung, weil irgendwie die Logik des Denkens gebrochen erscheint. Dem steht das Gefühl von etwas Bedeutsamem gegebenüber, das Gefühl, sich dem Punkt zu nähern, an dem man endlich versteht. Denn wir sind überzeugt, dass wir – je näher wir zur Ursache unserer Verwirrungen gelangen – umso besser auch deren Grundlage verstehen und anpacken können. Beiden Gefühlen nähern wir uns bei der zirkulären Selbstreferenzialität des Denkens auf eine intensive Weise. Das ist ein paradoxes und auch etwas beunruhigendes Erlebnis.

Die Selbstreferenzialität wird mit Blick auf das Dreieck von Ogden und Richards verständlicher (Kap 10.1). Das Dreieck unterscheidet zwischen Gedanken, Symbol und Referenzobjekt. Wenn wir uns eine Vorstellung von einem Gedanken machen wollen, so müssen wir unterscheiden zwischen der Symbolisierung des Gedankens (links unten), den realen Verhältnissen, auf die der Gedanke zielt (rechts unten im Dreieck) und dem Gedanken selbst, d.h. dem Bezug zwischen Symbolisierung und Realität (die Spitze vom Dreieck). Dieser Bezug des Denkenden macht ja den Gedanken aus. Man kann einen Denkenden als ein interpretierendes System ansehen , weil er eine vorgefundene Realität (die Objekte rechts unten im Dreieck) interpretiert. Das ist unsere Rolle als denkende Geschöpfe in einer Welt, welche wir nicht unbedingt auf Anhieb in allen Aspekten verstehen. Die Natur, d.h. die Evolution , hat uns mit dem Antrieb versehen, unser Verständnis für die Umgebung möglichst zu verbessern. In diesem Sinne sind wir "interpretierende Systeme". Wir versuchen uns einen Reim zu machen auf das, was wir wahrnehmen. Was hat das mit der Selbstreferenzialität zu tun?

Soviel, als dass wir selbst Teile des zu verstehenden Systems sind. Wir als Menschen, d.h. als "interpretierende Systeme", sind Teil des "zu interpretierenden Systems", d.h. der Realität selbst. Das ist schon sehr eigenartig, gerade so, als wäre eine Interpretation, z. B. die Kritik des Bildes eines Malers, ein Teil des Bildes selbst. Wenn wir als Menschen unsere Intelligenz  dafür einsetzen, unsere Umgebung zu verstehen, so müssen wir uns natürlich selbst, und insbesondere die Intelligenz, d.h. unsere Art, die Umgebung zu interpretieren, ebenfalls in das Bild aufnehmen. Das ist der Zirkel der Selbstreferenzialität, der sich nicht umgehen lässt, wenn wir verstehen wollen, was uns umgibt. Wir sind Teil des Bildes, das wir ansehen.


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