Der vorliegende Text ist publiziert in Hans Rudolf Straub: "Das interpretierende System", Z/I/M-Verlag, 2001, ISBN 3-9521232-6-9



10.1    Das semiotische Dreieck nach Ogden und Richards

Wenn wir sprechen, verwenden wir Worte, um die Gegenstände unserer Umgebung zu bezeichnen. Mit den Worten besitzen wir die Gegenstände aber nicht, sondern bezeichnen sie nur, und wie wir alle wissen, sind die Worte nicht identisch mit den bezeichneten Gegenständen. Dass keine Identität besteht, ist offensichtlich. Wie aber sieht die Beziehung zwischen Worten und Gegenständen aus, wenn sie keine Identität ist? Sie kann keine eins-zu-eins-Beziehung sein, denn wir bezeichnen verschiedene Gegenstände mit dem gleichen Wort und können umgekehrt mehrere Worte für denselben Gegenstand verwenden. Die Beziehung ist auch nicht fix, denn je nach Kontext bedeutet das gleiche Wort etwas anderes. Worte ändern sich unaufhaltsam mit der Zeit, sie ändern ihren Klang und ihre Bedeutung.

Der Bezug von Worten und bezeichneten Objekten wird sehr erhellt durch die berühmte Darstellung [1] von Ogden und Richards von 1923:


                       

                            Abb. 42: Das Dreieck von Ogden und Richards [2]

Was wir als Wort bezeichnen, erscheint in Abb. 42 links unten als "Symbol" und der Gegenstand, auf den das Wort hinweist, ist rechts davon der "Referent". Ein Symbol vertritt in der Kommunikation ein Bezugsobjekt, denn dies ist die Aufgabe eines Wortes: Es ist immer ein Symbol für etwas anderes, für ein Bezugsobjekt. Die Basislinie des Dreiecks wird von Ogden und Richards selbst gestrichelt gezeichnet, was die beiden Autoren folgendermassen kommentieren: 

"Zwischen dem Symbol und dem Referenten gibt es keine andere relevante Beziehung als die indirekte, die darin besteht, dass das Symbol von jemandem dazu benutzt wird, einen Referenten zu vertreten."

Mit anderen Worten: Wenn auch ein Wort auf ein Objekt weist, gibt es doch keine direkte Beziehung vom Wort auf das Objekt, sondern das Wort erlangt den Bezug zum Objekt erst innerhalb eines Gedankens von "jemandem". Zwischen dem Wort und dem Objekt gibt es ein Drittes, welches das Wort mit dem Objekt verbindet und sich erst innerhalb eines Gedankensystems bildet. Dieses Dritte ist der Gedanke, und das, was im Gedanken dem Wort entspricht, bezeichnen wir im folgenden als Begriff .

Mit den Bezeichnungen, welche wir für unsere Überlegungen verwenden, sieht das Dreieck von Ogden und Richards folgendermassen aus:

 

                               

            Abb. 43: Die Rolle des Begriffes im Dreieck von Ogden und Richards

Das Dreieck von Ogden und Richards ist deshalb so wichtig, weil wir dazu tendieren, die drei Eckpunkte ineinander verschmelzen zu lassen. Worte, Begriffe und Objekte sind aber nicht das gleiche. Wenn wir über etwas reden, dann verschmelzen der Gegenstand, über den wir reden, das Wort für diesen Gegenstand und der zugehörige Begriff in unserem Denken miteinander. Dies ist das Ziel, denn in einem solchen Moment erscheint uns der Gedanke klar. Die Bedingung dafür ist, dass wir als erfolgreiche Akteure des Denkens die Begriffe genau auf die Gegenstände gerichtet haben und unsere Worte durch vieles Üben zuverlässig mit den Begriffen verknüpft sind. Das ist das Ziel des Denkens und Sprechens . Bis wir jedoch dorthin kommen, ist es ein langer Weg.

Wenn wir den Weg beschreiben wollen, und das müssen wir, wenn wir Denkprozesse verstehen und nachbilden wollen, dann müssen wir das dynamische Zusammenspiel von Begriffen, Gegenständen und Worten verstehen. Dazu ist es äusserst hilfreich, sich die Unterschiede zwischen den drei Eckpunkten des Dreieckes klar zu machen. Hierin liegt die implizite Warnung von Ogden und Richards: Wie oft verwechseln wir Worte – also leere Hülsen – mit sinnvollen Begriffen und die Begriffe – blosse Vorstellungen unserer Gehirne – mit der Realität.

Eine Information ist, ebenso wie eine Idee, umso wertvoller, je mehr Bedeutung sie pro formales Element enthält. Das Dreieck von Ogden und Richards ist formal sehr einfach und trifft doch den Umgang mit Information im Kern. Es ist in diesem Sinn eine bedeutungsvolle und doch auch eine sehr einfache Idee.


[1]    Die Idee, die im semiotischen Dreieck ausgedrückt wird, ist älter als die Darstellung von Ogden und Richards. Sowa [2000]     erwähnt Frege und Peirce als Vorläufer. Ogden und Richards [1923] zitieren u.a. de Saussure.
[2]
   Die Bezeichnungen in Abb. 42 stammen aus der deutschen Übersetzung der Originalarbeit von Ogden und Richards.


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